Technische Verfahren der Biotechnologie

Die Entwicklungen der Molekularbiologie, der Analytik, der Informations- und Kommunikationstechnologie und vieler anderer Bereiche haben der biotechnologischen Forschung in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Moderne Nachweismethoden sind gleichzeitig hochempfindlich und kostengünstig. Heute können riesige Datenmengen aus der Forschung effizient gewonnen und verarbeitet werden. Erst dadurch ist es möglich geworden, biologische Prozesse in ihrer großen Komplexität zu entschlüsseln. In der englischsprachigen Fachliteratur hat sich für die so entstandenen Forschungsfelder der Oberbegriff Omics eingebürgert, deren bekannteste Vertreter die Genomics, Proteomics und Metabolomics sind.

Genomics – Genomforschung

Die Erbinformation von Organismen, das GenomGenom
Gesamtheit aller Erbinformationen eines Organismus. In Eukaryonten verfügt jede Zelle in ihrem Zellkern über die gesamte Erbinformation.
, ist der Bauplan für alle Lebensvorgänge. Um Leben zu erforschen, versucht die Wissenschaft daher das Erbmaterial und dessen Funktionen zu verstehen. Je besser dies der Genomforschung gelingt, desto umfassender können biologische Vorgänge – beispielsweise zu Diagnose- oder Therapiezwecken – biotechnologisch verändert oder angewendet werden.

Humangenomforschung
Eine der bedeutendsten und Aufsehen erregendsten Leistungen der Genomforschung ist die vollständige Entzifferung des menschlichen Erbgutes im Rahmen des internationalen Humangenomprojektes (Human Genome Project). Den grundlegenden Aufbau des menschlichen Erbgutes zu kennen, ist jedoch erst der Anfang. Der nächste Schritt zielt darauf ab, die Funktion und das komplizierte Zusammenspiel der Gene zu verstehen und die genetischen Ursachen verschiedener Erkrankungen zu identifizieren. Auf diese Weise können die Erkenntnisse aus der Genomforschung zu besseren Diagnosesystemen und neuen Therapien führen – Erkrankungen können früher erkannt und besser behandelt werden.

Bild zeigt: schematische Darstellung eines DNA-Abschnitts
Schematische Darstellung eines kurzen DNADNA
DNA (engl. Abk. für Desoxyribonukleinsäure) ist die Trägerin der Erbinformation und enthält in Form von Genen die Bauanleitungen für Ribonukleinsäuren (RNA) und Proteine, die für die Regulation aller biologischen Prozesse in der Zelle notwendig sind. Die DNA wird aus einer doppelsträngigen Nukleinsäure gebildet, die strickleiterartig in Form einer Doppelhelix organisiert und aus Nukleotiden aufgebaut ist. Jedes Nukleotid besteht aus einem Zucker (Desoxyribose), einem Phosphatrest und einer von vier organischen Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin.
-Abschnitts

Genomforschung an Mikroorganismen
BakterienBakterien
Die Bakterien sind mikroskopisch kleine einzellige Lebewesen, die keinen Zellkern besitzen und deshalb auch als Prokaryonten zusammengefasst werden.
(Prokaryoten) kommen nahezu überall auf der Erde vor. Einige Arten haben sich an extreme Bedingungen angepasst (Extremophile). Sie existieren bei Temperaturen von über 100 °C in heißen Quellen, unter hohem Druck in der Tiefsee oder unter meterdicken Eisschichten. Obwohl die BakterienBakterien
Die Bakterien sind mikroskopisch kleine einzellige Lebewesen, die keinen Zellkern besitzen und deshalb auch als Prokaryonten zusammengefasst werden.
anders als höhere Zellen keinen ZellkernZellkern
Der Zellkern (lat. „Nukleus“) ist die größte Zellorganelle und Hauptmerkmal der Eukaryonten. Im Zellkern ist der größte Teil der zellulären DNA enthalten, die dort auch in RNA umgeschrieben (transkribiert) und während der Zellteilung verdoppelt (repliziert) wird.
besitzen und relativ einfach aufgebaut sind, haben sie doch erstaunliche Stoffwechselfähigkeiten: Es gibt praktisch keine chemische Substanz, die nicht von BakterienBakterien
Die Bakterien sind mikroskopisch kleine einzellige Lebewesen, die keinen Zellkern besitzen und deshalb auch als Prokaryonten zusammengefasst werden.
verwertet werden kann. Was sie dazu befähigt? EnzymeEnzyme
Enzyme sind Proteine, die als Katalysatoren bestimmte biochemische Reaktionen beschleunigen. Sie sind von zentraler Bedeutung für alle Stoffwechselvorgänge in einem Organismus und katalysieren z.B. den Fettabbau (Lipasen), spalten Stärke (Amylasen) und verdauen DNA (Nukleasen).
, die als Biokatalysatoren viele Stoffwechselreaktionen erst ermöglichen und die Gene, welche den Bauplan für solche EnzymeEnzyme
Enzyme sind Proteine, die als Katalysatoren bestimmte biochemische Reaktionen beschleunigen. Sie sind von zentraler Bedeutung für alle Stoffwechselvorgänge in einem Organismus und katalysieren z.B. den Fettabbau (Lipasen), spalten Stärke (Amylasen) und verdauen DNA (Nukleasen).
bilden.

Struktur und Funktion bakterieller Erbsubstanzen zu entschlüsseln, ist Ziel der mikrobiellen Genomforschung. Ihre Erkenntnisse sind für die technische Anwendung von Enzymen besonders interessant. Denn diese können in industriellen Prozessen je nach ihren individuellen Eigenschaften vielfältig eingesetzt werden: bei niedrigen oder hohen Drücken und Temperaturen, im sauren ebenso wie im basischen Milieu. Darüber hinaus lässt sich die Fähigkeit von BakterienBakterien
Die Bakterien sind mikroskopisch kleine einzellige Lebewesen, die keinen Zellkern besitzen und deshalb auch als Prokaryonten zusammengefasst werden.
, eine große Anzahl an chemischen Substanzen verwerten zu können, für den Umweltschutz nutzen, beispielsweise bei der biotechnologischen Sanierung belasteter Böden.

Um das enorme Potenzial der BakterienBakterien
Die Bakterien sind mikroskopisch kleine einzellige Lebewesen, die keinen Zellkern besitzen und deshalb auch als Prokaryonten zusammengefasst werden.
zu erschließen und für die Anwendung in verschiedenen Wirtschaftsbereichen verfügbar zu machen, fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit dem Forschungsprogramm GenoMik die Genomforschung an Mikroorganismen. Im Fokus stehen dabei BakterienBakterien
Die Bakterien sind mikroskopisch kleine einzellige Lebewesen, die keinen Zellkern besitzen und deshalb auch als Prokaryonten zusammengefasst werden.
, die besonders für Landwirtschaft, Umweltschutz, Biotechnologie, die chemische Industrie sowie für die menschliche Gesundheit von Bedeutung sind.

Genomanalyse im biologischen System Pflanze (GABI)
Auch die Pflanzengenomforschung hat sich zu einem international hoch kompetitiven Forschungsgebiet entwickelt. Sie zielt darauf ab, Pflanzengene möglichst vollständig zu entschlüsseln und davon ausgehend ein tieferes Verständnis des biologischen Systems Pflanze zu erlangen. Die Ergebnisse aus diesen Forschungsaktivitäten sind Grundlage für schnellere und aussagekräftigere Ausleseverfahren in der Pflanzenzüchtung (SMART BreedingSMART Breeding
„Präzisionszucht“, bei der das Erbgut von gekreuzten Pflanzen genau analysiert wird, um danach die passenden Kreuzungspartner oder gezielt zu selektieren. Dabei entstehen keine transgenen Pflanzen, da keine artfremden Gene in die DNA eingebaut werden.
). Des Weiteren dienen sie der gezielten Verbesserung von Pflanzen für den Einsatz in der Landwirtschaft (molekulare Züchtung), etwa durch eine hohe Trockentoleranz oder gesteigerten Nährstoffgehalt.

Die deutsche Pflanzengenomforschung wird durch das Verbundvorhaben Genomanalyse im biologischen System Pflanze (GABI) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gestärkt. Darüber hinaus etabliert GABI internationale Kompetenznetze und fördert den Technologietransfer zwischen Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen mit insgesamt 50 Millionen Euro im Zeitraum von 2007 bis 2013. Auf Initiative von GABI kann sich zudem die interessierte Öffentlichkeit auf dem Informationsportal www.pflanzenforschung.de auf einen Streifzug durch die Welt der Pflanzen- und Agrarforschung begeben.

Proteomics – Proteomforschung

Bild zeigt: 2D-Proteingel
2D-Proteingel, das Proteingemische nach Größe und Säure-Base-Eigenschaften auftrennt. / Foto: Fraunhofer-Gesellschaft

Menschliche Zellen enthalten ein riesiges Repertoire an hoch spezialisierten Molekülen, den Proteinen. Diese großen Biomoleküle geben der ZelleZelle
Die Zelle ist die kleinste Einheit eines Organismus. Lebewesen können aus einer einzigen Zelle (Einzeller) bestehen oder sind aus vielen verschiedenen hochspezialisierten Zellen (Vielzeller) aufgebaut.
Struktur, erleichtern chemische Prozesse oder übermitteln Signale. Mit den Fragen, wie sich dieses Repertoire zusammensetzt, wie es reguliert wird und worin es sich im kranken vom gesunden Zustand unterscheidet, beschäftigt sich die Proteomforschung.

Um die enorme Komplexität der Funktionen eines Organismus zu erklären, reicht die Kenntnis der genetischen Buchstabenfolge – der sogenannten Basensequenz des menschlichen Erbguts – nicht aus. Zu einem tieferen Verständnis der Lebensvorgänge leistet die Proteomforschung einen weiteren, wichtigen Beitrag. Unter dem Begriff Proteom ist die Gesamtheit der zu einem gegebenen Zeitpunkt in einer ZelleZelle
Die Zelle ist die kleinste Einheit eines Organismus. Lebewesen können aus einer einzigen Zelle (Einzeller) bestehen oder sind aus vielen verschiedenen hochspezialisierten Zellen (Vielzeller) aufgebaut.
vorhandenen ProteineProteine
Makromolekül aus kovalent verknüpften Amniosäureresten (ugs. „Eiweiß“). Proteine zählen in allen lebenden Zellen zu den wichtigen Funktionsträgern zellulärer und anderer physiologischer Prozesse, indem sie Stoffe transportieren, Ionen pumpen, chemische Reaktionen katalysieren und Signalstoffe erkennen. Aufgebaut sind Proteine aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Schwefel.
zu verstehen. Je nach Zelltyp erfüllen ProteineProteine
Makromolekül aus kovalent verknüpften Amniosäureresten (ugs. „Eiweiß“). Proteine zählen in allen lebenden Zellen zu den wichtigen Funktionsträgern zellulärer und anderer physiologischer Prozesse, indem sie Stoffe transportieren, Ionen pumpen, chemische Reaktionen katalysieren und Signalstoffe erkennen. Aufgebaut sind Proteine aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Schwefel.
unterschiedliche Aufgaben: Sie erleichtern als Katalysatoren beispielsweise chemische Reaktionen, wirken als Strukturgeber oder Signalüberträger. Dabei hat die ZelleZelle
Die Zelle ist die kleinste Einheit eines Organismus. Lebewesen können aus einer einzigen Zelle (Einzeller) bestehen oder sind aus vielen verschiedenen hochspezialisierten Zellen (Vielzeller) aufgebaut.
Bedarf an einer ganz bestimmten Menge und Auswahl an Proteinen. Dieser Bedarf ist wiederum abhängig vom Zelltyp sowie von einer Vielzahl zeitlich veränderlicher Faktoren. Im Gegensatz zum statischen GenomGenom
Gesamtheit aller Erbinformationen eines Organismus. In Eukaryonten verfügt jede Zelle in ihrem Zellkern über die gesamte Erbinformation.
ist das Proteom der ZelleZelle
Die Zelle ist die kleinste Einheit eines Organismus. Lebewesen können aus einer einzigen Zelle (Einzeller) bestehen oder sind aus vielen verschiedenen hochspezialisierten Zellen (Vielzeller) aufgebaut.
also dynamisch.

Bei der Entschlüsselung des immensen und ständig wechselnden Proteininventars der ZelleZelle
Die Zelle ist die kleinste Einheit eines Organismus. Lebewesen können aus einer einzigen Zelle (Einzeller) bestehen oder sind aus vielen verschiedenen hochspezialisierten Zellen (Vielzeller) aufgebaut.
haben zahlreiche Weiterentwicklungen der analytischen Techniken und der Datenverarbeitung im vergangenen Jahrzehnt große Fortschritte ermöglicht. Zur Erforschung des Proteoms bedient sich die Biotechnologie verschiedener Methoden, unter anderem der hochauflösenden, zweidimensionalen Gelelektrophorese. Hierbei wird ein Proteingemisch in Abhängigkeit von Größe und elektrischer Ladung aufgetrennt. Das Hefe-ZweiHefe-Zwei
Hefen sind einzellige Pilze, die sich durch Sprossung oder Teilung (Spaltung) vermehren. Sie werden mittlerweile häufig in der Biotechnologie als Produzenten für bestimmte Eiweiße eingesetzt.
-Hybridverfahren wiederum erlaubt es, unter Zuhilfenahme gentechnischer Veränderungen bisher unbekannte Wechselwirkungen zwischen Proteinen zu identifizieren. Um ProteineProteine
Makromolekül aus kovalent verknüpften Amniosäureresten (ugs. „Eiweiß“). Proteine zählen in allen lebenden Zellen zu den wichtigen Funktionsträgern zellulärer und anderer physiologischer Prozesse, indem sie Stoffe transportieren, Ionen pumpen, chemische Reaktionen katalysieren und Signalstoffe erkennen. Aufgebaut sind Proteine aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Schwefel.
direkt sichtbar zu machen und ihre Verteilung und Anordnung auch in lebenden Zellen zu untersuchen, nutzen Forscher die Fluoreszenzmikroskopie.

Metabolomics – Metabolomforschung

Bild zeigt: Schematischer Ablauf der Erzeugung von Daten in der Metabolomforschung
Schematischer Ablauf der Erzeugung von Daten in der Metabolomforschung

Mit der Metabolomforschung (auch Metabolomik oder Metabonomik) wird ein interdisziplinärer Forschungsansatz verfolgt. Ziel dieser Forschung ist es, die komplexen Stoffwechselvorgänge in Zellen oder Geweben oder sogar des gesamten Organismus besser zu verstehen. Die Bezeichnung geht zurück auf den Begriff MetabolismusMetabolismus
Mit Metabolismus wird der Stoffwechsel bezeichnet. Er umfasst den chemischen Abbau (Katabolismus) und und den Aufbau (Anabolismus) zelleigener Substanzen, die für das Überleben des Organismus oder der Zelle notwendig sind.
(= Stoffwechsel). Zellen oder Gewebe sind sehr dynamische Systeme, deren Stoffwechselprodukte sich beständig ändern. Sie zu identifizieren und quantifizieren trägt dazu bei, Vorgänge innerhalb von einzelnen Zellen oder Geweben mit äußeren Einflüssen in einen Zusammenhang zu bringen. Untersucht werden zum Beispiel die Enzymaktivitäten von Stoffwechselwegen, beispielsweise unter dem Einfluss bestimmter Arzneimittelwirkstoffe. Darüber hinaus ist es aber für Forscher auch besonders interessant zu erfahren, welche Änderungen sich im Zusammenhang mit bestimmten Erkrankungen einstellen. Dabei ist neben der Charakterisierung von Stoffwechselprozessen auch die Identifikation von sogenannten Biomarkern von zentralem Interesse. Innerhalb der Metabolomik existieren verschiedene Unterbereiche, zum Beispiel die Lipidomik (Lipidomics) zur Charakterisierung von Fettsäuren und ihren Stoffwechselprodukten.

Für die Untersuchung solcher Vorgänge erfolgt eine exakte Quantifizierung von Stoffwechselprodukten, zum Beispiel über LC-MS/MS- oder GC-MS/MS-Systeme, die chromatografische Trennverfahren (Flüssigchromatografie oder Gaschromatografie) mit massenspektrometrischer Analyse kombinieren. Üblich ist auch die Anwendung der Kernspinresonanzspektroskopie, welche die Entschlüsselung der Struktur und Dynamik von Molekülen sowie Konzentrationsbestimmungen ermöglicht. Darüber hinaus kommen Messgeräte für die Infrarotspektroskopie (FTIR-Spektrometer) zum Einsatz, um zeitabhängige Abläufe besser zu verfolgen. So können Reaktionen im BioreaktorBioreaktor
Ein Bioreaktor (Fermenter) ist ein Behälter, in dem Mikroorganismen oder Zellen unter möglichst optimalen Bedingungen in einem Nährmedium kultiviert werden, um entweder die Zellen selbst, Teile von ihnen oder einer ihrer Stoffwechselprodukte zu gewinnen.
prozessanalytisch verfolgt und ausgewertet werden. Eine entscheidende Rolle spielt neben der genauen Messung die entsprechende Software zur Auswertung der Daten.

Einer der wichtigsten Grundgedanken hinter den technischen Verfahren der Genomik/Transkriptomik, der ProteomikProteomik
Vergleichende, umfassende Analysen von Proteinbeständen von Organismen, Organen, Geweben oder Zellen.
und der Metabolomik ist es zu verstehen, welche phänotypischen, also sichtbaren (und messbaren) Eigenschaften sich hinter den verschiedenen Ausprägungen verbergen.