Nachwachsende Rohstoffe auf Wachstumskurs
Neben den durch sie verursachten Kohlendioxid-Emissionen und dem resultierenden Einfluss auf das Weltklima besteht das größte Problem der Nutzung fossiler Rohstoffe in ihrer zunehmenden Verknappung: Rohstoff-Mangel (auch mit weiterentwickelten Technologien zur Förderung) ist somit nur eine Frage der Zeit. Aus diesen Gründen ist eine frühzeitige Umstellung der Wirtschaft auf nachwachsende Rohstoffe von Vorteil. Zudem stößt ein Wissensvorsprung in der Nutzung nachwachsender Rohstoff die Tür für Deutschland weit auf, sich in den neuen Märkten der biobasierten Industrie global zu etablieren.
Bei dem Begriff „nachwachsende Rohstoffe“ denkt man zuallererst an die bekannten Produkte wie Papier, Textilien und Zucker als klassische Industrieprodukte, bei denen Pflanzen als Rohstoff genutzt werden. Diese Beispiele zeigen aber auch, dass nur Teile der Pflanze verwertet werden (zum Beispiel bei der Zuckerrübe nur die Knolle) und der Rest beispielsweise auf dem Feld liegen bleibt oder zur Energiegewinnung in einer Biogas-Anlage genutzt wird. So werden jährlich Tonnen von Agrar-, Industrie- und Forstabfällen produziert, die als BiomasseBiomasse
Biomasse bezeichnet die Gesamtheit an biochemisch synthetisiertem organischem Material in einem definierten Ökosystem.
entweder in sehr geringem Ausmaß (Biogas-Anlage) oder gar nicht genutzt werden. Um das versteckte Potential voll ausnutzen zu können, wurde im Rahmen der Bioökonomie das Konzept der Bioraffiniere entwickelt. Dieses erweitert gewissermaßen das Prinzip der Biogas-Anlage, indem es versucht die komplette Ressource BiomasseBiomasse
Biomasse bezeichnet die Gesamtheit an biochemisch synthetisiertem organischem Material in einem definierten Ökosystem.
zu erschließen und nicht nur einen Teil der BiomasseBiomasse
Biomasse bezeichnet die Gesamtheit an biochemisch synthetisiertem organischem Material in einem definierten Ökosystem.
zur Energiegewinnung zu nutzen.
Beispiel Bioraffinerie
Jeder kennt den Anblick von Feldern im Spät-Sommer/Herbst, wenn die Ernte der Getreide- oder Maisfelder eingefahren ist und nur noch das Stroh auf den Feldern zurück bleibt.
Ein Teil davon wird zum Beispiel in der Viehhaltung genutzt oder als natürlicher Dünger unter den Boden gepflügt, doch ein Großteil bleibt in aller Regel ungenutzt und verrottet. Dies liegt daran, dass der Energiegehalt von Stroh zu gering ist, als dass ein Transport über weite Strecken (zum Beispiel zu einer Biogas-Anlage) sich lohnen würde. Jedoch enthält Stroh, wie Holz, zum größten Teil Zellulose/Hemizellulose und Lignin. Dies sind zum einen die Vielfachzucker der pflanzlichen Zellwand (Zellulose und Hemizellulose) und ein BiopolymerBiopolymer
Eine komplexe Verbindung aus Ketten oder verzweigten Biomolekülen, die aus gleichen oder gleichartigen Einheiten bestehen. Eine Kette aus mehreren Einfachzuckern (z. B. Glukose oder Fruktose), die sich zu einem Vielfachzucker zusammenfügen, ist zum Beispiel ein Biopolymer.
(Lignin), welches an der Verholzung und damit Stabilität von Pflanzenteilen maßgeblich beteiligt ist. Das bisherige Problem bei der stofflichen Verwertung dieser Substanzen war jedoch, dass ihre Strukturen sehr komplex sind und eine Weiterverarbeitung durch Aufreinigung der einzelnen Komponenten nicht ohne Weiteres möglich ist. Allerdings sind diese komplizierten Strukturen aus einfacheren Bausteinen aufgebaut, die als Grundstoffe in der Industrie sehr gut eingesetzt werden können. Zellulose ist zum Großteil aus den Zuckern Glukose (Traubenzucker) und Xylose zusammengesetzt. Beide Zucker können als Monomer (also als einzelnes Molekül, im Gegensatz zu ihrem Vorkommen in Zellulose als PolymerPolymer
Chemische Verbindung aus gleichartigen Einheiten, die eine kettenartige oder verzweigte Struktur besitze. Viele Kunststoffe wie Polyester sind Polymere.
) von Mikroorganismen umgesetzt und so durch FermentationFermentation
Die Fermentation bezeichnet in der Biotechnologie die Umsetzung von biologischen Materialien mit Hilfe von Bakterien, Pilz-oder Zellkulturen oder durch Zusatz von Enzymen.
beispielsweise Biokraftstoff erzeugt werden. Lignin hingegen hat in seiner weitverzweigten Struktur viele Bausteine (zum Beispiel Benzol und Phenol), welche in der chemischen Industrie als Grundlage für Aroma- oder Duftstoffe dienen (zum Beispiel Vanillin). In einer Bioraffinerie geht es nun darum, Prozesse einzusetzen, welche ausgehend von der Rohstoffbasis Stroh solche und ähnliche hochwertige Produkte erzeugen, und das mit höchster Effizienz und Wirtschaftlichkeit.
Dazu wird um eine Bioraffinerie, in der das Stroh physikalisch, chemisch und biotechnologisch aufgeschlossen wird, eine Infrastruktur aufgebaut, die den Transport aus der Region zur Raffinerie übernimmt. Die weitere Verarbeitung der gewonnenen Zucker kann in der Raffinerie stattfinden, jedoch umfasst das Konzept der Bioraffinerie auch dezentrale Strukturen und kann bestehende Industrien vernetzen. In diesem Fall würden zum Beispiel die aromatischen Verbindungen in bestehenden Fabriken weiterverarbeitet werden, die in diese Bioraffinerie integriert werden. Wichtig ist, dass ein Kreislauf geschlossen wird, der keinen Abfall übrig lässt („zero waste“-Prinzip). So kann auch der vergleichsweise nährstoffarme Gärrest (aus der FermentationFermentation
Die Fermentation bezeichnet in der Biotechnologie die Umsetzung von biologischen Materialien mit Hilfe von Bakterien, Pilz-oder Zellkulturen oder durch Zusatz von Enzymen.
der Zucker) mit seinem hohen Anteil an anorganischen Verbindungen immer noch als Dünger auf die Felder ausgebracht werden.
Beispiel weiße Biotechnologie: Biokunststoffe
Kunststoffe sind wichtige Werkstoffe in der Industrie, da sie im Vergleich zu Holz oder Metall sehr vielfältig eingesetzt und in ihren Eigenschaften sehr genau „eingestellt“ werden können. Bei den gängigsten Kunststoffen, wie Polyethylen, Polypropylen oder Polyurethan werden hauptsächlich kurze Kohlenwasserstoff-Verbindungen, die bei der Erdölverarbeitung gewonnen werden, aneinander gekettet, sodass künstliche, nicht in der Natur vorkommende Polymere entstehen. Diese werden dann ihren Eigenschaften entsprechend in der Industrie weiterverarbeitet. Das Problem dieser Kunststoffe ist jedoch, dass sie meist nicht biologisch abgebaut werden können und die Entsorgung durch Verbrennung zu hohen Kohlenstoffdioxid-Emissionen führt. Die in den letzten Jahren zu trauriger Berühmtheit gelangten „Müllstrudel“ in den Weltmeeren veranschaulichen dieses Problem in drastischer Weise. Jedoch gibt es in der Natur viele Polymere, die als Strukturelemente oder Speicherstoffe in Organismen dienen (Zellulose und Stärke), oder organische Moleküle, die sich leicht unter bestimmten Bedingungen zu Polymeren zusammenlagern (PLA, Milchsäure). Der Vorteil dieser Biopolymere ist, dass sie auch wie erdölbasierte Kunststoffe unterschiedlichste Eigenschaften haben können (Stärke-Kunststoff als Styropor-Ersatz oder PLA als PET-Ersatz), jedoch meistens auch biologisch abbaubar sind. Selbst bei einer Entsorgung durch Verbrennung sind sie CO2-neutral, da das freigesetzte Kohlenstoffdioxid zuvor durch die Pflanze (hier: Zellulose und Stärke) oder den Mikroorganismus (hier: Milchsäure) aus der Atmosphäre gebunden wurde. Momentan ist die Produktion von Biokunststoffen allerdings noch nicht wirtschaftlich konkurrenzfähig. Dies liegt unter anderem daran, dass meist noch keine großindustriellen Verfahren zur Aufreinigung und Verarbeitung etabliert sind und somit keine großflächige Infrastruktur besteht. Zum anderen ist noch ein hoher Forschungs- und Entwicklungsaufwand notwendig, um die bestehende (überschaubare) Produktvielfalt zu ergänzen. Es ist allerdings zu erwarten, dass mit weiteren Verbesserungen in diesen Bereichen sowie einem weiterhin steigenden Rohölpreis Biokunststoffe auch wirtschaftlich immer interessanter werden.